Chi Chi Rodriguez walks and swings
News ➝ Masters  ·  2024-04-17 23:46:53

Chi Chi' Rodriguez schaffte in den 60er Jahren das Undenkbare

Vom Caddie zum Überstyler und PGA-Tour-Sieger – 'Chi Chi' Rodriguez schaffte in den 60er Jahren das Undenkbare: Er brachte mit seinem Golfspiel und seinen unvergleichlichen Jubel-Einlagen selbst die weissesten Zuschauer in den USA zum Klatschen. Hut ab vor dieser Legende!

Ausholen, zielen, treffen! Er umklammert den Degen so fest, dass sich die lederne Haut seiner Hand spannt. Ruckartig zieht er die Waffe zurück und fixiert sie mit einem Ruck in der Scheide. Juan "Chi Chi" Rodriguez imitiert einen Stierkampf, wie ihn José Tomás nicht besser hätte machen können. Doch statt spitzem Metall benutzt der 81-jährige Puerto Ricaner seinen Golfschläger. Die Menge um das Grün johlt und "Chi Chi" strahlt so sehr, dass seine weißen Zähne zwischen den dünnen Lippen hervorblitzen. Bevor er zum nächsten Abschlag geht, dreht er sich noch einmal lächelnd zu den Zuschauern um. Der Siegertyp hat es im Leben nicht leicht gehabt. Im Gegenteil: Er ist der größte Kämpfer, den die Golfwelt je gesehen hat.

Rodriguez wurde 1935 in ärmlichen Verhältnissen in Rio Piedras, einem Stadtteil der puerto-ricanischen Hauptstadt San Juan, geboren. In den 60er und 70er Jahren gewann er acht Titel auf der PGA Tour. Popularität erlangte er durch sein polarisierendes Auftreten und seine lateinamerikanische Herkunft - in einer Zeit, in der Rassismus im Golfsport an der Tagesordnung war.

Puerto Rico, 1942. Es waren die frühen 40er Jahre, die Rodriguez' Leben prägten. Die Eltern des dunkelhäutigen Jungen trennen sich. Fortan wuchs Chi Chi" bei seinem Vater auf. Wie seine fünf Geschwister musste Juan bereits im Grundschulalter für den Lebensunterhalt der Familie arbeiten. Täglich umklammerte er mit seinen kleinen, schmächtigen Händen die Griffe der großen Wasserkanister, um sie mühsam durch die bauchhohen Berge von abgeschnittenem Zuckerrohr zum Feld zu schleppen. Jeder Schritt auf den spitzen Pflanzenresten verursachte kleine Schnittwunden. In der Hitze Puerto Ricos brachte der Siebenjährige so den Plantagenarbeitern etwas zu trinken - für einen Tageslohn von zehn Cent. Sein Vater, ebenfalls auf dem Feld mit der Machete in der Hand, brachte jede Woche 18 US-Dollar nach Hause, von denen er sogar einen Teil an Bedürftige weitergab. "Weil sie es dringender brauchen", belehrte er seinen hungrigen Sohn.

"Unser Haus war so klein, dass es nicht einmal Platz zum Denken gab", sagte "Chi Chi" später über seine Kindheit. Die Realität war viel ernster: Da selbst das Geld für eine Zahnbürste fehlte, schmierte er sich Abend für Abend Seife auf die Finger und schrubbte damit über das entzündete Zahnfleisch. Essen gab es kaum.

Chi Chi Rodriguez celebrates his putt during the U.S Senior Open at the Des Moines Country Club in Des Moines Iowa

Chi Chi'

Chi Chi Rodriguez feiert seinen Putt während der U.S. Senior Open im Des Moines Country Club in Des Moines, Iowa. Foto Getty

Nach dem Ende seiner Karriere verriet Rodriguez in einem Interview: "Ich trank die Milch mit einer Gabel, damit ich länger etwas davon hatte". Aufgrund von Nahrungs- und Kalziummangel erkrankte "Chi Chi" bereits im Alter von vier Jahren an Rachitis, die er nur knapp überlebte. Als Folge litt er später an dünnen, brüchigen Knochen.

Wie es ihm sein fröhlicher Vater vorgelebt hatte, beklagte sich "Chi Chi" nie über die Arbeit auf dem Feld. Doch der Junge merkte schnell, dass er anderswo mit weniger Arbeit mehr Geld verdienen konnte. Schon früh setzte er seine Hoffnung, der Armut zu entkommen, auf den Sport. Eines Tages schnitt er sich einen starken Guavenast ab, sammelte eine leere, verbeulte Blechdose von der Straße, formte sie zu einem Ball und spielte damit Golf. Kurz nachdem die USA in den Zweiten Weltkrieg eingetreten waren, schoss "Chi Chi" die Blechdose immer wieder durch die staubigen Straßen seiner Heimatstadt - über 100 Yards weit, wie man sich erzählte!

Für eine Flasche Limonade nahm er später auch an Straßenboxkämpfen teil oder spielte als Pitcher Baseball mit Lokalmatadoren wie seinem Namensvetter "Chi Chi" Flores.

1943 wagte der damals Achtjährige erstmals den Sprung auf den Golfplatz und heuerte als Caddie im Dorado Beach Resort in der Nähe seiner Heimat an. Kaum größer als eine Golftasche, war er viel zu klein, um sie über 18 Löcher zu bugsieren. Die "gut gekleideten Männer", wie "Chi Chi" die Golfer des Clubs später beschrieb, setzten ihn deshalb als Balljungen ein. Als Gegenleistung durfte er sich einmal in der Woche selbst mit Schläger und Ball auf den grünen Bahnen versuchen.

Wenn er Golf spielte, stopfte er seine viel zu großen Schuhe mit Zeitungspapier aus und steckte immer einen Haufen Glasscherben in seine Hosentasche, um den anderen Jungs vorzutäuschen, dass er klimperndes Geld bei sich hatte. Sein Talent war kaum zu übersehen, doch der grassierende Rassismus in den USA der frühen 50er Jahre behinderte seine Entwicklung: Manchmal verwehrte ihm der Wachmann am Eingang des Golfplatzes den Zutritt. "Was machst du hier?", fragte er "Chi Chi" eines Tages. Die Antwort, er sei Golfer, glaubte der Wachmann nicht. Erst als "Chi Chi" log, er sei Caddie, öffnete sich die Tür.

Ende der 1950er Jahre schien eine Sportlerkarriere für den 20-jährigen Rodriguez bereits utopisch. Also schlug er einen anderen Weg ein. Als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik half er bedürftigen Patienten beim Duschen und Essen. Obwohl ihm diese Arbeit gefiel, verlor Rodriguez das Bild der wohlgenährten und gut gekleideten Männer auf dem Golfplatz nicht aus den Augen. Und so wurde er im Alter von 23 Jahren erneut zum Caddie - diesmal auf dem Platz des neu eröffneten Dorado Beach Resort, das sich nordwestlich der Hauptstadt San Juan befindet. Für 1,70 Dollar pro Runde trug er das Bag des PGA-Pros Pete Cooper von Loch zu Loch. Der war von seinem Caddie so angetan, dass er ihn unter seine Fittiche nahm. Auf der Driving Range zeigte er dem sportlichen Ziehsohn "Chi Chi", wie man den Schläger richtig hält und ließ ihn immer wieder 50 Yards lange Annäherungsschläge üben. Gerade das perfekte Kurzspiel sollte "Chi Chi" Rodriguez später zum PGA-Champion machen.

Chi Chi Rodriguez walks and swings at the Ford Senior Players Championship at the PTC at Michigan in Dearborn, Michigan

Chi Chi Rodriguez läuft und schwingt bei der Ford Senior Players Championship im PTC at Michigan in Dearborn, Michigan. Foto Getty

Zwei Jahre später bat Rodriguez keinen Geringeren als Laurance Rockefeller, Teilhaber des Dorado Beach Resorts, um Geld für den Start seiner Karriere. Begeistert von der Art und dem Spiel des jungen Golfers, überreichte ihm der amerikanische Milliardär einen Scheck über 12.000 US-Dollar. Kaum hielt "Chi Chi" diesen in den Händen, wechselte er sofort auf die PGA Tour - der Rest ist Geschichte: In seiner aktiven Zeit gewann er acht Titel bei den Profis und 22 auf der heutigen Champions Tour.

Doch auch dort lagen ihm einige Steine im Weg. Als der Puerto Ricaner Profi wurde, gehörte Rassismus zum Golfalltag. Erst acht Jahre zuvor hatte Charlie Sifford als erster schwarzer Golfer überhaupt bei den Weißen mitspielen dürfen. In Texas hielt sich die Unterdrückung noch länger. Bis 1976 ließ der Präsident des Augusta National Golf Club, Austragungsort des Masters, sogar offiziell verlauten: "Weiße spielen Golf, Schwarze tragen die Bags".

Obwohl Rodriguez neben Lee Trevino zu den ersten Latinos auf der PGA Tour gehörte und von vielen nicht gern gesehen wurde, trat er selbstbewusst auf und trotzte den Anfeindungen mit Humor. "Ich war damals so nervös, dass ich vorher eine Flasche Rum getrunken habe", resümierte "Chi Chi" Jahre später seinen ersten Auftritt in Augusta. "Es war die lustigste 83 meines Lebens."

In seiner gesamten Karriere verdiente Rodriguez auf der gesamten Tour mehr als sieben Millionen Dollar - keine exorbitante Summe für einen Golfer seiner Klasse. Wie sein Vater unterstützte "Chi Chi" Bedürftige, mehr als fünf Millionen seiner Gewinne spendete er. Anderen zu helfen, stand für ihn immer an erster Stelle. So kaufte er zuerst jedem Familienmitglied ein Haus, bevor er sich sein eigenes leistete. Als einmal junge Häftlinge bei einem Turnier zusahen, ging er nach seiner Runde mit ihnen ins Gefängnis zum Essen. Später sagte er: "Ich war in ihrem Alter nicht anders, ich wurde nur nie erwischt.

Sein Drang, Menschen Gutes zu tun, spiegelte sich auch in der humorvollen Art des Entertainers wider. Das Ritual, nach einem Birdie-Putt das Loch mit dem Hut abzudecken oder wild mit dem Schläger zu fuchteln, sorgte für großes Gelächter und gute Laune im Publikum. Für den ehemaligen Golfprofi eine Herzensangelegenheit: "Die zahlen schließlich viel Geld für die Eintrittskarten.

Seine Showeinlagen hatten aber nicht nur Anhänger. Gottvater Arnold Palmer rügte Rodriguez, er solle doch mal einen Gang zurückschalten. Mitspieler witzelten, mit "Chi Chi" im Flight zu spielen, sei wie ein Vierstroke-Penalty und spielten damit auf seine ablenkende Art an. Andere kritisierten, dass der Hut des Puerto Ricaners, wenn er auf das Grün falle, Schäden rund um das Loch verursachen würde.

Chi Chi Rodriguez walks and swings

Rodriguez ließ sich von solchen verbalen Attacken nicht unterkriegen, sondern nahm die Kritik an seinem Verhalten an. Fortan imitierte er den Schwertkampf erst, nachdem alle Mitspieler ihre Bälle im Loch versenkt hatten, und entschuldigte sich bei denen, die er verärgert hatte. Was damals kaum jemand verstand: "Chi Chi" war der erste, der den Spaß ins Profigolf brachte. "Die Zuschauer arbeiten hart, um sich Tickets leisten und zuschauen zu können", erklärte er damals sein polarisierendes Verhalten. "Da ist es meine verdammte Pflicht, ihnen Spaß zu bieten. Denn was wäre das Leben ohne Spaß?" Heute gesteht auch sein einstiger Kritiker Gene Littler: "Wir waren damals noch nicht bereit für Chi Chi. Er war uns damals weit voraus."

Wenn es eine Schwäche in Rodriguez' Golfspiel gibt, dann ist es das Putten. Trotz seiner schmächtigen Statur erreichte er beeindruckende Schlägerkopfgeschwindigkeiten und Weiten. Auch sein Kurzspiel war hervorragend. Doch auf den Bahnen rund um die Fahne verpasste er den Sprung in die absolute Weltspitze. Ex-Pro Lionel Hebert analysierte in den 80er Jahren treffend: "Hätte 'Chi Chi" sich mehr auf das Spiel konzentriert als auf andere Leute und deren Probleme, hätte er sicher doppelt so viele Turniere gewonnen.

Doch das tat der Lebensfreude und der Begeisterung des Puerto Ricaners für den Golfsport keinen Abbruch. "Ich spielte wie Tarzan und scorte wie Jane", lachte Rodriguez später über sich selbst. Hubert Green schätzte schon damals seine liebevolle und humorvolle Art - Misserfolge hin oder her: "'Chi Chi' sieht gut aus, ist ein Gentleman, ein großartiger Golfer und ein fantastischer Entertainer. Er verkörpert alles, was Golf ausmachen sollte.

Neben seiner Herzlichkeit und seiner unterhaltsamen Art war es auch die Mode, die "Chi Chi" zur Legende machte. Trotz der damals sehr strengen Etikette weckte er das Stilempfinden auf dem Platz. Von Anfang an trug er Hut und Sonnenbrille und war damit der erste, der ein attraktives Äußeres zur Schau stellte.

Auch Jahrzehnte später sind diese Charakterzüge nicht verschwunden. Im Gegenteil: Noch heute, mit über 80 Jahren, nimmt Rodriguez, inzwischen selbst ein Senior, an Turnieren teil. Spielt er ein Loch zu seiner Zufriedenheit, kennt er immer noch keine Gnade mit dem Stier, der über dem Loch wacht. Dann zieht er sein Schwert, sticht zu, wischt das Blut von der Klinge und hängt sich die Waffe an die Hüfte - Sieger. Nach wenigen Sekunden blitzen im Schatten des Hutes die Zähne auf und der Kämpfer blickt grinsend in die lachenden Gesichter der Zuschauer.

Quelle: Golfpunk